Stella dachte zehn Minuten nach und beruhigte sich etwas. Sie begann die Situation n?chtern zu analysieren.
„Woran ist Natalja eigentlich schuld? Daran, dass die M?nner Schei?e sind? Und dass sie daf?r den lebenden Beweis hat? Ein Beweis aus dem realen Leben! Nicht aus dem Leben, wie es in sch?nen Romanen beschrieben wird, sondern aus dem wirklichen Leben, an das man nicht glauben will, das man idealisiert, um nicht verr?ckt zu werden.“ Stella dachte, dass sie nie einen Mann finden w?rde, der ihrer Lebenseinstellung entsprach. Sie wollte keinen M?rchenprinzen auf einem wei?en Ross. Heute waren sie sowieso alle eher auf Wei?wein. Entweder war einer ein Depp oder ein Alki. Sie brauchte einen ergebenen, guten Mann. Wie jede Frau wollte sie geliebt werden, wollte die einzige sein und ihrerseits nur einem Mann geh?ren. Sie hoffte doch, dass sie etwas Besseres war als ein Callgirl. Irgendjemand w?rde ihre guten, aber leider verborgenen Eigenschaften schon noch erkennen. Aber anscheinend interessierten sich die M?nner nur f?r weibliche Genitalien.
Stella versuchte ihr Herz in den Griff zu bekommen, als sie mit verschwitzter Hand auf den Klingelknopf dr?ckte und ein kaltes Gesicht aufsetzte, um vor seiner T?r auf die Hinrichtung ihrer Seele zu warten. Sie zitterte. Der Hass auf diesen Mann erf?llte sie.
Sergej ?ffnete die T?r, sie ging hinein. Erhobenen Hauptes, ohne die Schuhe auszuziehen, schritt sie ins G?stezimmer und schrie:
„Hallo Natalja! Wo bist du?
Keine Antwort. Dann drehte sie sich um und warf dem Mann einen so brennenden Blick zu, dass er einen Schritt zur?ck machte und fl?sterte:
„Sie ist im Schlafzimmer.“
In diesem Moment verpasste ihre Hand ihm automatisch eine Ohrfeige, die so gewichtig und saftig war, dass die Handfl?che rot wurde und die Fingerspitzen prickelte.
Mit kleinen Schritten ging sie ins Schlafzimmer und sah dort ihre v?llig nackte, betrunkene Freundin auf dem Boden sitzen. Sie war mit Handschellen an den Heizk?rper gefesselt. Daneben standen eine fast leere Flasche Wodka und ein Glas. Natalja hob den Kopf und zischte mit kaum beweglicher Zunge wie eine Schlange:
„Stella, ich hasse dich.“
Stella begann, fieberhaft zu lachen, sei es wegen dieses Anblicks oder wegen der Erkenntnis, dass sie nach so langer Zeit und so vielen Entt?uschungen diese auf m?nnliche Genitalien versessene Kreatur endlich in die Enge getrieben hatte. Und dazu noch mit so einer Schmach!
Nach diesem Zwischenfall wurde Stella selbstbewusst. Sie war sich nun sicher, dass Nata f?r sie keine Rivalin war, in keinerlei Hinsicht. Und dass sie ihr Leben sie auf ihrem eigenen Weg f?hrte. Aber Natalja kam nicht zur Ruhe. Diese Geschichte erbitterte sie gegen Stella. Sie achtete darauf, was diese trug, wie sie sich M?nnern gegen?ber verhielt. Natalja fing an, sie teilweise zu kopieren und sich Markenkleidung zu kaufen, vor allem in Pastellfarben. Stella hatte nicht so viel anzuziehen: einige Blusen, Hosen und R?cke, aber alles von Designern. Natalja trug dagegen mit Vorliebe bunte Klamotten und viele davon, dazu vor allem Slips in grellen Farben.
So begann ein neuer Abschnitt in Nataljas Leben. Prostitution und Betrug unter Stellas Leitung brachten ihr gutes Geld. Natalja selbst glaubte freilich, sie w?re die Chefin in diesem Gesch?ft. Stella lernte, Natalja perfekt zu manipulieren. Dabei lie? sie ihr volle Handlungsfreiheit. Die trivialen W?nsche der Freundin nach Sex und Geld verstand Stella gut. Deshalb war es nicht schwer, sie zu lenken. Stella wollte, dass Natalja Sex nach Stundenplan im Rahmen eines Gesch?fts mit dem Titel „Besuch des Ausl?nders“ hatte und daf?r ein Honorar in entsprechender H?he erhielt. So waren beide zufrieden. Endlich hatten die M?dchen einen Mittelweg in ihrer Beziehung gefunden. Hand in Hand gingen sie einem Ziel entgegen. Dieses Ziel hie? Kohle.
Natalja war von dem neuen Hobby sehr begeistert. Sie nahm gern an den Theaterauff?hrungen und dabei im Gespr?ch mit den Kunden auch noch ihre Sprachkenntnisse zu erweitern. Sie begann sogar einen Liebesbriefwechsel mit einem Franzosen, der in Genf in der franz?sischsprachigen Schweiz in Genf wohnte. Um genau zu sein war seine Mutter Franz?sin und der Vater war Iraner. Der hochgewachsene, gutaussehende, schwarzhaarige Mann besuchte Natalja oft. Sie versteckte ihn vor der aufdringlichen Stella, damit diese ihm kein am?santes Spektakel vorf?hrte, wie sie es bei ihren Kunden tat, mit Beerdigung, Hochzeit und ?hnlichem. Sie erinnerte sich noch an einen lustigen Vorfall.
Bei einer der Auff?hrungen von Stellas Theatertruppe kam die Schauspielerin nicht, die die Mutter der Braut darstellen sollte. Natalja spielte die Braut, Stella deren Schwester. Die Hochzeit war gef?lscht. Die Namen waren ge?ndert worden. Die G?ste und selbst das Standesamt mitsamt der ganzen Zeremonie waren Teil der Auff?hrung, die Stella klug durchdacht hatte.
F?r alles zahlte nat?rlich der Br?utigam aus der Schweiz. Es wurde angeblich als Geschenk f?r die Schwester seiner zuk?nftigen Ehefrau arrangiert. Die Hochzeit kostete 10.000 Dollar. Nat?rlich stimmte er nur widerstrebend zu, denn anfangs war nur von ein paar Tausend die Rede. Aber ihre armen Verwandten! Da blieb ihm nichts anderes ?brig. Was tut man nicht alles f?r die Liebste, wenn sie bittet.
„Wo ist denn Ihre Mutter?“, fragte der Schweizer verwirrt.
„Sie ist wohl aufgehalten worden, oder sie ist so aufgeregt, dass ihr schlecht geworden ist. Ich schaue mal zu Hause nach.“
„Verdammt! Wo ist die bl?de Kuh?“, sagte Stella Natalja ins Ohr. Vielleicht wollte sie, dass niemand sie h?rte.
„Ich wei? nicht. Einfach abgehauen. Sie will wohl nicht unsere Mama spielen.“
„So eine Schlampe! Gerade vor der Unterschrift! Bestes Timing! Was jetzt? Wir m?ssen eine andere finden! Der Br?utigam hat sie noch nicht gesehen. Also kann es irgendjemand sein. Such! Schnell!“ Egal wo! Ich unterhalte inzwischen die Leute.“
Natalja rannte los, ihre Mutter suchen. Sie bot den ersten besten Frauen auf der Stra?e Geld an und bat sie, f?r ein paar Stunden ihre Mutter zu spielen. Aber es war gar nicht so einfach. Die Frauen wichen vor ihr zur?ck wie vor einer Wahnsinnigen. In einer Unterf?hrung sah sie eine Bettlerin. Sofort lief sie zu ihr und erz?hlte, was sie vorhatte.
Die Frau ?ffnete vor ?berraschung den Mund, aus dem es nach Aas roch. Natalja trat einen Schritt zur?ck und befahl:
„Mutter, mach dich bereit!“
Als sie den Betrag nannte, den die Bettlerin erwarten k?nnte, verga? diese alle Zweifel und folgte schleunigst der sch?nen Tochter.
„Stella bringt mich um f?r so eine Mutter!“, sagte Nata laut ohne R?cksicht auf die Passanten. Was jetzt? Sie schaute auf die Uhr und beschloss, das M?tterchen in der n?chsten Boutique aufzupeppen. Ein Kleid musste her! Man war ja nicht jede Woche Brautmutter!
Nach einer Stunde brachte sie die Pennerin mit gelben Fingern?geln und faulen Z?hnen, ausstaffiert mit einem gef?lschten Gucci-Kleid, ins Restaurant, wo die Hochzeit gefeiert wurde.
Beim Anblick der Strolchin verschlug es vielen G?ste die Sprache. Der Schweizer zog blo? ratlos eine Augenbraue hoch, Stella dagegen erstarrte. Und pl?tzlich rief die Scheuche, die nur drei Z?hne, daf?r aber eine gewaltige Fahne hatte, laut in Richtung Stella:
„Guten Tag, T?chterchen!“
V?llig schockiert von diesem Auftritt war der Mann, der die Rolle des Vaters der M?dchen, eines armen, intelligenten Lehrers spielte. Er wurde fast ohnm?chtig. Diese Erscheinung sollte seine Frau sein! Der Schweizer brach das Schweigen mit dem schlichten, zur?ckhaltenden Satz:
„Dass so sch?ne T?chter so eine Mutter haben k?nnen!“
Stella erkl?rte mit bitterer Stimme und Tr?nen in den Augen:
„Eigentlich solltest du sie gar nicht zu sehen bekommen. Sie ist Schande unserer Familie! In ihren jungen Jahren war sie die erste Sch?nheit der Hauptstadt!“
Bei diesen Worten fiel dem angeblichen Brautvater das Sektglas aus den Fingern. Das M?tterchen mit seiner Neigung zum Alkohol starrte voll Bedauern auf den Boden, wo die prickelnde Fl?ssigkeit zerrann. Den Ereignissen um sich herum schenkte sie keine Aufmerksamkeit.
„So war das nicht abgemacht“, begehrte jetzt der „Papa“ auf. „Mit solchen Hauptstadtsch?nheiten habe ich nie geschlafen. Pfui!“
Da kapierte Natalja, dass es um einen Skandal nicht herumgekommen w?rde und schrie:
„Das Brautpaar soll sich k?ssen! K?ssen!“ Sie gab den Musikanten ein Handzeichen, dass sie spielen sollten. Der Vater schenkte sich ein Glas Wodka ein, trank es auf einen Zug aus, beruhigte sich wieder und begann eine Unterhaltung mit dem Schweizer. Dabei kannte er nur zwei W?rter auf Englisch: „Yes, yes.“
Jedes Mal, wenn sich die Freundinnen an diesen Vorfall erinnerten, lachten sie lange und erz?hlten einander s?mtliche Details aufs Neue. Und sie hatten jede Menge solcher Geschichten. Natalja lernte andere Mitglieder ihrer lustigen Gesellschaft kennen. Bei einer guten Flasche Wein war es keine S?nde, sich ?ber Onkel Wowa, den Leiter des Friedhofs, lustig zu machen. Und wer war der Leiter des Friedhofs? Nat?rlich der W?chter. Ein witziger Typ. Er murrte st?ndig, regte sich auf.
„Ich hab es satt, f?r euch Gottesl?sterinnen L?cher zu buddeln! Ihr beerdigt Leute wie am Flie?band! Sch?men solltet ihr euch!“
„Die S?rge sind doch alle leer, Onkel Wowa!“
„Gott sei Dank, dass sie leer sind!“
Aber beim Anblick eines 100-Dollar-Scheins ver?nderte er sich rasant, seine Stimme und K?rperhaltung bekamen die W?rde eines Mannes, der Geld in frei konvertierbarer W?hrung besitzt. Dann sagte er:
„Ihr macht alles richtig! Sie haben es verdient! Geschieht ihnen recht, diesen alten Perverslingen! Sie kommen hierher, holen unsere jungen M?dchen weg und machen mit ihnen wei? Gott was! Dort in diesem Amerika!“
Sie lachten ?ber ihn bis zum Umfallen. In Wirklichkeit mochte er das Begr?bnistheater, das die M?dchen erfunden hatten. Dabei konnte man sich ordentlich die Kehle anfeuchten, f?rstlich essen und etwas mit nach Hause nehmen. Daf?r hatte er ein paar gro?e Tragetaschen parat. Das einzige, wor?ber sich Onkel Wowa beschwerte, waren die Klageweiber. Er sagte:
„Wegen der Weiber, die f?r Geld weinen, kriege ich noch einen Herzinfarkt. Ich heule ja selber mit und beweine die leeren S?rge. Sie jammern einfach so traurig! Schlampen! Es zerrei?t einem die Seele! Ich wei? noch, wie sogar ein Kunde von euch, ein Deutscher, Drecksnazi, feuchte Augen bekam! Und ich habe auch noch ein slawisches Herz! Das wird das Gejammer nicht mehr lange ertragen! Und wenn ich sterbe, wer soll euch dann f?r die paar Groschen L?cher buddeln?“
Die Freundinnen lachten so laut, dass es auf dem ganzen Friedhof zu h?ren war.
Natalja sollte bald ihr Studium beenden. Saweli war froh dar?ber und konnte es kaum erwarten, seine unbegabte Studentin in n?chster Zukunft loszuwerden. Die Situation an der Universit?t war f?r ihn ung?nstig und seine Muse hatte ihn entt?uscht.
„Geistloses, billiges Mistst?ck“, dachte er. „Und ich bin ein alter Trottel!“ Manchmal kam ihm der Gedanke, dass er wegen ?berschreitung seiner Befugnisse im Gef?ngnis landen k?nnte. „Dank mir hatte sie ja immer die besten Noten. Werden ihre Kenntnisse gepr?ft, kommt sofort heraus, dass ich ein alter W?stling und ein korruptes Schwein bin. Diese blonde Studentin mit ihren rosigen Brustwarzen war offensichtlich unf?hig, einen Hochschulabschluss zu erwerben. Und drogenabh?ngig war sie au?erdem!“
Einmal hatte er sie auf der Toilette mit Amphetamin ertappt. Danach verlor er das Interesse an Natalja, begann sich sogar vor ihr zu scheuen und sie zu meiden.
Sie wiederum erkl?rte ihm, sie k?nne unter dieser Droge schneller lesen.