Stella, die hinterlistige Schlange, ?rgerte ihre Freundin mit ihrem Geschmack, insbesondere mit ihrer Vorliebe f?r W?nde in hell- und dunkelbraunen Farbt?nen. Natalja dagegen wollte lieber rot und schwarz. Oder vielleicht grellgelb und dazu ein einzigartiges Gr?n. Das w?re eine Herausforderung an die Gesellschaft ganz eigener Art. Diese Farben hielt sie f?r wesentlich vorteilhafter im Vergleich zur braun- und pastellfarbener „Kinderkacke“. Sie fand grelle Farben origineller. Au?erdem w?rden sie von Nataljas tadellosen Geschmack zeugen. Stellas Bemerkung, sie h?tte gar keinen Geschmack, traf Natalja mitten ins Herz. Den arroganten Ton, in dem das gesagt wurde, konnte Natalja nicht vergessen. Die Idee geh?rte Stella, deswegen war sie berechtigt, das Design auszuw?hlen, in dem die R?umlichkeiten gestaltet werden sollten.
Diese Nachricht machte Natalja traurig, es schien, als h?tte sie aufgegeben. Sie f?hlte sich zweitklassig und hasste das langnasige Luder.
„Ich werde beweisen, dass ich erstklassig bin! Und kl?ger au?erdem! Wart's nur ab!“
Ein paar Tage nach diesem Skandal vibrierte Nataljas Handy Natalja. Auf dem Display erschien eine Meldung: „Sie werden von 'Luder' angerufen.“
„Ja, Stella! Brauchst du was? Sind die d?nnschissfarbenen Tapeten abgefallen? Soll ich kommen, um sie zu halten?“, zischte Natalja.
„Hallo, liebe Freundin!
Hasst du mich immer noch? Ich habe einen Vorschlag f?r dich. Kannst du ruhig zuh?ren?“
„Verdirb mir die Laune nicht, du Luder! In der letzten Zeit waren deine Vorschl?ge f?r mich unertr?glich!“
„Beruhige dich und h?r mir zu.“
„Okay, schie? los!“
„Erstens, ich will mich nicht mit dir zanken. Mir ist klar, dass wir v?llig verschieden sind, wie rot und schwarz.“
„Nein, wie gr?n und die braune Schei?e!“, schrie Natalja ins Handy.
„Ich bin bereit, mein Auto zu verkaufen und f?r dich einen anderen Raum zu mieten, mit jeder beliebigen Farbe an den W?nden. Du wirst dort die Chefin sein. ?berhaupt sollten wir nach dem Plan nicht nur ein B?ro, sondern ein ganzes Netz er?ffnen. Unter der Bedingung, dass das zentrale B?ro ausschlie?lich mir geh?rt. Bist du einverstanden?“
„Du bist aber schlau, Stella! Du willst also im Stadtzentrum sitzen? Und ich mitten im Nirgendwo?“
„Manchmal gibt es viel mehr Kunden am Stadtrand.“
„Ja klar! Erz?hl nur!“ Alle reichen Leute lassen sich im Stadtzentrum bedienen! Am Stadtrand gibt es nur Lumpens?cke! Und Junkies! Danke f?r den Vorschlag! Den kannst du dir dahin schieben, wo du es gern magst.“
„Gar nicht wahr! Nicht alle kommen auf den Chreschtschatyk, um sich Dokumente beurkunden zu lassen!“
„Gut, ich ?berlege es mir. Hei?t das, du schenkst mir dein Auto? Und hilfst mir bei der Renovierung?“
„Genau. Die Renovierung in deinem Stil wird ja nicht so teuer.“
„Grrrrr! Ich bring dich um!“
„Haha!“, lachte Stella.
„Tsch?ss dann! Ich ruf dich an, wenn ich mich entschieden habe.“
„Danke, dass du mich hast ausreden lassen.“
„Ciao.“
Nach dem Gespr?ch setzte sich Natalja in einen Sessel, goss sich einen Martini ein und dachte nach.
„Ist sie wirklich so dumm? Schenkt mir ihr Auto? Da stimmt was nicht! Aber von mir aus soll es so sein. Ich werde sie los. Ich w?rde es sowieso nicht schaffen, mit ihr in diesem braun gestrichenen B?ro zusammenzuarbeiten. Stella h?lt ihr Wort. Das hei?t, es wird keine Tricks geben.“
Die M?dchen hatten nicht damit gerechnet, dass sie sich bis zur Er?ffnung ihres Hauptb?ros mit so viel schrecklichen Papierkram auseinandersetzen mussten. Es zeigte sich, dass es gar nicht leicht war, alle Genehmigungen f?r die Beglaubigung ernsthafter Unterlagen zu erhalten. Sie mussten viel Zeit daf?r aufwenden, die verschiedenen Bescheinigungen und Dokumente zu beschaffen. Stella bat Slawik aus der Pr?sidialverwaltung um Hilfe. Damals war Juschtschenko Pr?sident der Ukraine. Nachdem sich einflussreiche Beamte einmischten, lief die Sache schneller. Natalja ?rgerte sich wiederum, dass ihre Bekannten keine Bereitwilligkeit zeigten, ihr zu helfen. Manche von ihnen lachten sie sogar aus:
„Eine Hure als Notarin. Das ist nur in unserem Land m?glich.“
„Dreckige Arschl?cher! Warum habe ich die nur so meisterhaft gefickt? Sie sind doch absolut keine Hilfe“, br?llte die sch?ne Natalja.
Merkw?rdigerweise half ihr ausgerechnet Saweli. Er war wohl der edelste Mann in ihrer Umgebung. Er hatte nat?rlich Bekannte in diesem Bereich. Das M?dchen war sehr stolz darauf und prahlte damit.
Nach dem Erhalt der Genehmigung vergingen mehrere Monate, bis die M?dchen endlich das rote Band vor dem Eingang zum neuen B?ro durchschneiden konnten. Die Zeremonie wurde mit Musik und Krimsekt begleitet. Die Freundinnen strahlten vor Gl?ck. Sie umarmten sich und Natalja dachte irgendwann, dass das Design des B?ros doch gar nicht so schlecht w?re. Stella dagegen war ein bisschen deprimiert, weil sie w?hrend des Kampfes f?r ihre bevorzugten Pastell-Farbt?ne die Freundin beleidigt hatte.
Der erste Jurist wurde von Stella angestellt. Er war ein attraktiver junger Mann. Er hatte schon zwei Jahre Berufserfahrung bei einem hauptst?dtischen Notariat, das ?ber einen guten Ruf verf?gte. Denis war sch?n und hochgewachsen und hatte dichtes dunkles Haar. Er war ruhig wie eine Python. Seine lang bewimperten Augenlider hielt er etwas gesenkt. Er gefiel Stella sehr. Seine feinen, langen Finger und Handgelenke bezeugten seine intelligente Herkunft. Er sprach nicht laut, weich und eing?ngig, ideal f?r die Arbeit mit Kunden.
Natalja triumphierte.
„Was hast du denn da f?r einen Spasti angeheuert? Er macht uns alles kaputt! Er bewegt sich kaum! H?chstens im Zeitlupentempo. Total zur?ckgeblieben!“
„Er ist genau richtig! Die Angestellten in einer Notarkanzlei m?ssen bed?chtig und ruhig sein. Die Arbeit mit Kunden erfordert eine besondere Vorgehensweise und dabei weder Emotionalit?t noch fieberhaftes Rattenrennen!“
„Er ist voll die Bremse! Ich will diese Frau da einstellen! Die mit dem Zopf! Eine Sch?nheit! Schau dir nur mal ihre Augen an.“ Sie warf eine Bewerbungsmappe auf den Tisch direkt vor die Nase ihrer Freundin.
„Wozu brauchen wir diese Schwuchtel im B?ro? Kannst du mir das sagen? Wenn wir jemanden wie die Frau da einstellen, kriegen wir coole M?nner als Kunden! Aber mit dieser Missgeburt machen wir aus unserem Notariat ein Schwulennest!“
„Wir sind eine Notarkanzlei, kein Puff! Wozu brauchst du M?nner?“
„Ohne M?nner geht gar nichts! Bist du v?llig verr?ckt geworden? Die Direktoren aller gro?en Firmen sind M?nner! Sie wollen ihre Unterlagen von einer sch?nen Frau beglaubigen lassen und nicht von einem Schwulen!“
Vielleicht hatte sie recht, aber Stella tat unnachgiebig genau das Gegenteil, als ob sie es darauf anlegte. Allem Anschein nach war es genau so, weil Stellas innere Haltung gegen?ber ihrer Freundin nicht zu hundert Prozent von W?rme und G?te gekennzeichnet war. Sie war das endlose Streiten und die Skandale m?de. Sie erinnerte sich mit Sehnsucht an ihr vergangenes „Theaterleben“, das so lustig und abwechslungsreich gewesen war.
„Was hatten wir doch f?r einen Spa?! In diesem M?rchen gab es f?r jede eine eigene Rolle: Schwester, Tante, Nichte oder Braut. Jede hat ihre Rolle zu hundert Prozent gespielt. Und gelacht haben wir vom ganzen Herzen. Jetzt haben wir eine Hauptrolle f?r jede von uns.
Wie sollen wir damit umgehen?“ Ihrem Wesen nach konnten die M?dchen nichts miteinander teilen. W?rden Theaterrollen verteilt, k?nnte ein Regisseur zweifellos Natalja die Hauptrolle geben, zum Beispiel die der unnachahmlichen Edith Piaf.
Auch Stella k?nnte sich bei weitem nicht nur in Massenszenen pr?sentieren. Es w?re interessant, sie auf der B?hne als F?rstin Olga zu sehen, jene eiskalte Frau mit w?tendem Blick, die eine ganze gegnerische Armee verbrannte, indem sie befahl, glimmende Lunten an die F??e von Tauben zu binden und diese dann in die feindliche Stadt fliegen zu lassen. Oder als Katharina die Gro?e, die sich von der Neugierde der Zeitgenossen zur?ckzog, um die lasterhafte Liebe mit Pferden zu genie?en.
Endlich begann der Arbeitsalltag. Stella versuchte, jede freie Minute zu benutzen, um die Verfassung und andere Gesetze zu studieren. Auf Ukrainisch fiel es ihr besonders schwer. Stella war Russin, anders als Natalja. Ihre Eltern stammten aus Russland. Sie wurde in Lugansk geboren, unweit der Grenze, in einem Gebiet, wo die russische Sprache dominierte. Wegen ihrer unzureichenden Ukrainischkenntnisse beschloss das M?dchen, sich an der sprachwissenschaftlichen Fakult?t einzuschreiben. Damals konnte man nur an der sprachwissenschaftlichen Fakult?t die Pr?fungen in russischer Sprache ablegen.
Bei der Arbeit f?hlte sich Natalja wie ein Fisch im Wasser. Als echte Ukrainerin war sie seit ihrer Kindheit an die Landessprache gew?hnt. Auf Ukrainisch verfasste Dokumente konnte sie schnell lesen. Dadurch f?hlte sie sich ihrer hochn?sigen Freundin ?berlegen.
Diese empfand das nat?rlich als Beleidigung, aber wie immer fand das rechnerische Gehirn Stellas viel Positives an ihrem gemeinsamen Unterfangen. Nataljas Bem?hungen, der Freundin ihre Schw?chen unter die Nase zu reiben und den Wettbewerb um den Titel „Die Coolste“ zu gewinnen, f?hrten dazu, dass das Gesch?ft ausgezeichnet und flott lief. Stella bemerkte, dass Natalja und Denis recht gut zusammenarbeiteten. Unter Nataljas strenger Leitung bewegte er sich schneller und sprach lauter. Entweder wurden die Nerven des Burschen h?rter oder er erwachte aus seinem langen Intelligenzlerschlaf – die Ergebnisse waren jedenfalls ausgezeichnet.
Bei einer solchen Belegschaft konnte sie ruhig schlafen. Nur eins machte ihr Sorgen: die Tatsache, dass alles auf Betrug und Gaunerei aufbaute. Ihre Diplome hatten sie gut versteckt, aber das Risiko war gro?. Schlie?lich kannten viele Menschen die M?dchen pers?nlich. Stella hatte Angst, entlarvt zu werden, deswegen bem?hte sie sich, sich nicht an Orten zu zeigen, wo sie Bekannte treffen k?nnte. Aber sie untersch?tzte die Gefahr, die von Natalja oder genauer gesagt von deren Umfeld ausging. Stella projizierte irgendwie jungenhaft ihre eigene Lebenseinstellung auf andere Menschen. Sie hatte gute Freunde, die sie sehr sch?tzten. Sie war ein gro?z?giger Mensch und beschenkte ihre Freunde reichlich und von ganzem Herzen. Oft half sie den Menschen, die sie ausnutzten. Es kr?nkte Stella sehr, aber sie machte den gleichen Fehler immer und immer wieder. Dabei sagte sie:
„Ich kann mich nicht ?ndern. Ich komme immer jedem zu Hilfe, der mich braucht. Ich tue das f?r mich selbst.“
Die falschen Menschen verschwanden schnell aus ihrem Leben. Jeder hatte seinen Preis. Sie nutzten Stella einmalig aus, liehen sich Geld oder Sachen von ihr und gaben nat?rlich nichts zur?ck. Der Hauptvorteil bestand f?r Stella genau darin, dass sie diese Personen in ihrem Leben nie wieder sah. Es blieben gute und kluge Menschen, die verstanden, dass es keinen Sinn hatte, eine Frau wie sie ein- oder zweimal auszunutzen, wenn es doch m?glich war, mit ihr einfach befreundet zu sein und sich immer auf sie verlassen zu k?nnen. Jedes Gesch?ft ging ihr flott von der Hand, sie besa? immer Geld und der Spa? in ihrer Gesellschaft h?rte nie auf. Ihr Lachen und ihre strahlenden Augen sorgten immer f?r die beste Laune. F?r einen Freund konnte sie ihr Letztes hingeben. Das wusste bei weitem nicht jeder zu sch?tzen. Manche Leute fingen an, das als selbstverst?ndlich anzusehen, und bestahlen oder verrieten sie dann. Stella sagte:
„Jeder und alles hat seinen Preis. Das zeigt mir, dass dieser Mensch meiner Freundschaft genau diesen Wert beimisst. Ich bin bereit, das zu bezahlen und ihm daf?r zu danken, dass er f?r so kleines Geld aus meinem Leben verschwunden ist. Gott sei Dank, dass sich die Menschen gerade in Kleinigkeiten outen. Die Lumpen zeigen ihr Wesen sofort. Die Gier kann in Menschen die Oberhand gewinnen. Dann verraten sie heilige Gesetze der Freundschaft und der Ehre. Aber das Schlimmste ist, wenn ein Mensch seine gemeine Natur jahrelang verbirgt.“