„Bist du dir sicher, dass er wirklich so hei?t? Woher kennst du ihn? Gestern gab es ihn noch nicht!“
„H?r auf zu l?stern. Das ist Liebe auf den ersten Blick!“
„Bring mich nicht zum Lachen! Willst du nicht mehr nach Genf? Wird Ljonja dich im Zuchthaus besuchen?“
„Stella, mit dir kann man einfach nicht ?ber Romantik reden!“
„Warum denn nicht? Ist die Geschichte von Natalja und Ljonja, der seine Geliebte im Knast besucht, etwa nicht romantisch?“
„Verdirb mich nicht die Laune! Erz?hl mir lieber von den kleinen japanischen Pimmeln. Was macht dein Jamoguchi?“
„Na, was soll ich denn noch erz?hlen? Man sitzt ein wenig herumgesessen, dann tauscht das Personal die M?dchen aus. Diejenigen, die dem Gast nicht gefallen haben, werden weggebracht. Es bleiben meistens die Rum?ninnen. Die k?nnen Fremdsprachen und labern wie ein Wasserfall. Ich kann das leider nicht. Daf?r habe ich ihnen ein M?nzenspiel um Geld beigebracht. Jedes Spiel zehn Dollar. An einem Abend kann man damit hundert Dollar verdienen.“
„Wie geht das Spiel? Ich w?rde gerne die Schweizer in Genf ausnehmen.“
„Du wirst das kaum brauchen. Du wirst sie mit anderen Spielen um mehrere hundert Dollar bringen. Hahahaha!”
„Ich will so sehr zu dir! Sogar nach Japan! Ich langweile mich. Ohne dich passiert nichts in Moskau. Aber ich will Abenteuer erleben.“
„Es geht doch morgen schon los! Hurra! Dich erwartet viel Neues, Unbekanntes und Sch?nes. Ich stelle mir vor, wie du aus einem Flugzeug steigst, mit einer sauteueren Schweizer Uhr am Handgelenk und mit einem Million?r am Arm. Ich treffe euch am Flughafen und freue mich im Inneren ?ber deine Siege.“
„Oh ja! Stella! Genau so wird es sein. Ich habe schon meine Sachen gepackt. Ich bin gleichzeitig froh und traurig und ?ngstlich. Gemischte Gef?hle vor der Ungewissheit. Ich will nicht ?ber traurige Sachen reden. Erz?hl weiter, was du noch erlebt hast. Du bist meine Spielm?nze.“
„Das Spiel ist ganz lustig. Es passt gut f?r eine gro?e Gesellschaft, besonders f?r Raucher oder Betrunkene, denen man w?hrend des Spiels eine Zigarette stecken kann.
Man legt eine Serviette auf ein normales Glas. Damit sie nicht rutscht, kann man den Glasrand mit einem St?ck Eis einreiben. Ein Eisk?bel steht w?hrend des ganzen Abends auf jedem Tisch. Auf die Mitte der Serviette wird eine M?nze gelegt. Danach brennen alle Spieler, die am Tisch sitzen, mit ihren Zigaretten je ein Loch um die M?nze herum hinein. Derjenige, bei dem dabei die M?nze ins Glas f?llt, hat verloren. Die Japaner haben meistens schlechte Augen und mit ihren Zigaretten wild in die Gegend. Die treffen nicht einmal das Glas. So gehe ich durch den Klub wie ein Sparschwein, mit einer M?nze im Glas.“
Am anderen Ende war das feine Lachen der Freundin zu h?ren.
„Sag mal, arbeiten viele Russinnen bei euch?“
„Nein, es gibt wenig Russinnen. Wenn man Wei?russinnen nicht dazurechnet. Daf?r gibt es eine Menge Ukrainerinnen, aus Donezk, Charkow, Sumy und Kiew. Ein M?dchen aus Litauen.
Nach der Arbeit laden die Japaner alle M?dchen zu einem sp?ten Abendessen ein, oder besser gesagt, zu einem fr?hen Fr?hst?ck. Es gilt als cool, einen Haufen sch?ner M?dels ins Restaurant einzuladen. Da sitzt dann ein Typ mit zwanzig Weibern da, stolz wie ein Adler, und zeigt allen, wie steinreich er ist. Die Japaner geben gern an. Das ist ein Teil ihres Lebens, es bringt Status und Prestige. Er zahlt f?r alle ohne zu ?berlegen, was ihn die ausgesuchtesten Speisen Japans kosten w?rden. Die M?dchen ihrerseits genieren sich nicht und bestellen Fugu oder verschiede Seeigel, und das kann am Ende des Abends ganz sch?n ins Geld gehen.
Ich werde zusehends dicker! Schrecklich! Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, wenn es so leckeres Essen gibt. Ich verputze alles. Stell dir vor, gestern zum Aperitif habe ich kleine lebende Fische gegessen. Die werden in einem hohen Glas serviert, damit sie nicht herausspringen k?nnen. Man greift mit den St?bchen ins Glas, schnappt einen Fisch, f?hrt ihn zum Mund und schluckt ihn ganz.“
„Einen lebenden Fisch?“
„Ja klar! Du kannst sp?ren, wie er irgendwo in deinem Bauch stirbt.“
„Pfui, wie ekelhaft! Wie konntest du sowas aufessen? Du bist pervers!“
„Das h?re ich doch gerade von dir sehr gern“, sagte Stella schmunzelnd.
Gel?chter erklang von beiden Enden der Welt und verschmolz zu einer Sinfonie zweier verwandter Seelen.
„Geh schlafen, Liebes. Morgen hast du einen schweren Tag.“
„Ich kann bestimmt nicht einschlafen.“
„Schlaf bitte! Du musst doch unwiderstehlich sein an deinem ersten Arbeitstag im sch?nen Genf!“
„Gut. Ich rufe dich vor dem Abflug an. Ich versuche auch, zu schlafen. K?sschen…“
„K?sschen zur?ck…“
„Oh Gott. Es macht so einen Spa?, mit dieser Schlange zu telefonieren! Ich sollte vielleicht doch das Land der Schlitzaugen besuchen! Sushi, Fugu… mmmmm.“
Sie konnte nicht einschlafen. Die ganze Nacht drehten sich in ihrem Kopf schreckliche Gedanken: Sie k?nnte am Flughafen verhaftet werden oder eine internationale Fahndung nach ihr k?nnte eingeleitet werden. Sie war sauer, weil Stella es geschafft hatte, davonzukommen. Natalja war der Meinung, dass gerade ihre Freundin im Gef?ngnis enden sollte. Die zweite Frage, die ihr keine Ruhe lie?, lautete: Was erwartete sie wirklich in Genf? Sehr viele M?dchen kamen nicht mehr zur?ck, wenn sie einmal im Ausland waren.
„Dieser Stella werd ich's noch zeigen! Ich werde es alles viel besser machen als sie! Sonst w?re ich ja nicht ich. Ich lasse mich von dieser hochn?sigen Schlampe nicht ?bertrumpfen! Nie im Leben!“
Ihre Gedanken drehten sich wie das Karussell, das sie einmal in einem amerikanischen Kinderfilm gesehen hatte: Vorn fuhr ein Auto und dahinter flog ein Hubschrauber. Wie ein Pr?sidentenkonvoi. Genau so und nicht anders stellte sich Natalja ihr Leben in der Fremde vor. Befriedigt von diesen positiven Gedanken sank sie in den Schlaf. Sie tr?umte, dass sie mit einem H?ndchen mit rosarotem Schleifchen im Arm in einen hellblauen Bentley stieg und durch die Stadt fuhr. Ihr Seidenschal wehte. Sie zahlte ?berall mit einer schwarzen American- Express-Karte, deren Limit mindestens f?nftausend Dollar sein sollte. F?r kleinere Ausgaben w?rde das reichen.
Am Morgen, noch nicht ganz aus dem wunderbaren Traum erwacht, dachte sie weder an Stellas Br?utigam noch an ihren Ljonja. Dennoch ertappte sie sich bei dem Gedanken:
„Hei?t er wirklich Ljonja? Stella, dieses Mistst?ck, kann einen ganz um den Verstand bringen. Ach was, nat?rlich hei?t er Ljonja! Ich bin doch nicht bl?d!“
Sie schritt fest durch das Zimmer, murmelte vor sich hin, packte den Rest ihrer Sachen und dachte dabei nur an Geld und Unabh?ngigkeit. Natalja war sich sicher, dass das Gl?ck aus Kohle best?nde. Je mehr, desto besser. Wenn jemand sie von dieser Meinung abbringen wollte oder diese unmoralische Einstellung zu widerlegen versuchte, fragte sie ihn einfach, ob er reich w?re. Immer stellte sich dann heraus, dass dieser Mensch arm war. Von einem reichen Mann bekam sie so etwas nie zu h?ren.
Zum ersten Mal, seit sie in Moskau war, hatte sie die Nachrichten auf ihrem Handy nicht ?berpr?ft. Au?erdem l?schte sie alle Kontakte darauf.
Natalja trat vor den Spiegel, um sich von der Seite zu betrachten. Sie wollte ihr Gesicht sehen, um zu erkennen, ob sie litt oder nicht. Sie l?chelte so eiskalt und gef?hllos, dass selbst der Satan erschaudert w?re. Sie begann das Lied „Non, je ne regrette rien“ von der ber?hmten franz?sischen Prostituierten Edith Piaf zu summen. Sie war aufgeregt, gestikulierte theatralisch, wand sich wie eine Brillenschlange und genoss die Biegsamkeit ihres schlanken K?rpers. Ihre Augen blitzten teuflisch. Es schien fast schrecklicher, in diese kindlich anmutenden, aber hasserf?llten Augen zu blicken als in die Tiefen der H?lle.
„Ihr findet es lustig, aber ich leide“, sagte sich das M?dchen leise und kalt und erstickte fast vor fieberhaftem Gel?chter.
Bravo!“ Ein tolles Bild! Sie hatte eine gute Rolle am Bolschoi-Theater verdient.
Das M?dchen war zweifellos eine wahre Bestie! Eine Strafe f?r M?nner, ein Blutegel f?r Frauen, M?tter und unschuldige Kinder. Nicht umsonst hatte man die Huren in alten Zeiten verbrannt. Sie stellten eine t?dliche Bedrohung f?r das Familiengl?ck und Ruhe der Menschen dar. Aber auch heutzutage waren Frauen bereit, wegen eines geliebten Mannes oder vielleicht wegen eines reichen Politikers. Da gab es keinen wesentlichen Unterschied. Die Jagd auf M?nner lief rund um die Uhr, wie der Grill bei McDonalds. Selbst in klirrend kalten N?chten marschierten kampfbereite, mit Silikon optimierte Weiber zu Hunderten durch die Stra?en, gaben vor, dass sie sich verlaufen hatten, und fragten bei jedem Mercedes oder BMV aufs Geratewohl, wie sie zur n?chsten U-Bahn-Station gelangen k?nnten – in der Hoffnung auf die R?ckfrage:
„Junge Dame, kann ich Sie mitnehmen?“
Ganz abgesehen von den professionelleren Huren, die ihr Startkapital f?r eine produktivere M?nnerjagd bereits angeh?uft hatten, die in warmen Restaurants, auf Skipisten, an Str?nden und allerlei anderen Orten ihre Fallen stellten und das Leben von anst?ndigen Hausfrauen und M?tter verdarben, die ihrer weiblichen Reize nicht mehr sicher waren.
Ein Paradoxon der verfluchten Realit?t!
Die Fahrt zum Flughafen war nervig. Es gab f?rchterliche Staus. Die Wartezeit h?tte ausgereicht, um das Auto zu verkaufen und ein neues zu erwerben, das n?her an der Ampel hielt.
Natalja war jetzt schon ein Nervenb?ndel, alles rutschte ihr aus der Hand, als ob sie Fieber h?tte.
Der stinkende Taxifahrer hatte ihr verboten, in seinem verdammten Daewoo Lanos zu rauchen, weil sie sein Gef?hrt „Anus“ genannt hatte. Das konnte er ihr nicht verzeihen, denn auf dieses Traumauto hatte er ein halbes Leben lang gespart.
Natalja bemerkte eine blinkende Lampe am Armaturenbrett, die einen leeren Tank meldete.
Zwischen zusammengebissenen Z?hnen stie? sie drohend hervor:
„Ich fliege nach Genf, verdammt noch mal. Und ich warne Sie. Wenn Ihnen der Sprit ausgeht, bevor am Flughafen sind, rauche ich nicht nur in Ihrem Wagen, Sie m?ssen ihn mir au?erdem schenken! Die Unterlagen und das Ticket haben mich doppelt so viel gekostet wie Ihr Schei?schlitten!“