
Wünsch dich in Wunder-Weihnachtsland Band 11
Niemand kümmerte sich mehr um den kleinen Stern. Die erwachsenen Mäuse hatten ihn glatt vergessen. Ein wenig verloren stand er an der Tür.
Da raschelte etwas neben ihm im Heu. „Willst du mit mir Fangen spielen?“, fragte Mia den kleinen Stern.
Ihr war es am Tisch der Großen langweilig geworden. Außerdem hatte sie ein schlechtes Gewissen. Was, wenn herauskam, dass tatsächlich sie von den leckeren Bucheckern genascht hatte?
Der kleine Stern strahlte. „Klar spiele ich mit dir!“
„Fang mich!“, rief Mia und schlüpfte durch die Tür hinaus. Der kleine Stern flitzte hinterher.
Mia war schnell. Geschickt umrundete sie den Misthaufen und sauste einen Schneehügel hinunter. Der kleine Stern rannte, so schnell er nur konnte. Er war ihr schon ganz nah. Gleich würde er sie erwischen!
Da trat er genau auf eine Eisplatte und rutschte aus. So ein Pech!
Mia sprang flink zur Seite und der kleine Stern schlitterte wie auf einer Rodelbahn den Hang hinunter.
„Hast du dir wehgetan?“, fragte Mia besorgt.
„Gar nicht!“, lachte der kleine Stern. „Das Rutschen war toll! Komm, wir rutschen gleich noch einmal!“
Gemeinsam kletterten sie den Hang hinauf und rutschten wieder hinunter. Und kletterten hinauf ... und rutschten hinunter. So lange, bis sie ganz außer Atem waren.
Plötzlich blieb Mia stehen und starrte den kleinen Stern an. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie erschrocken. „Du strahlst ja wie ein Stern!“
„Ich bin ein Stern!“, erklärte der kleine Stern. „Ich war nur voll Mist. Jetzt bin ich sauber. Und darum siehst du mein Licht.“
Vorsichtig berührte Mia den leuchtenden Stern. „Kommst du wirklich vom Himmel?“, fragte sie.
Der kleine Stern lachte. „Das hab ich doch gesagt. Und ich glitzere und glänze und funkle genauso wie all die anderen Sterne da oben am Himmel.“
Mia war beeindruckt. Ihr Spielkamerad war ein echter Stern und sie hatte das nicht bemerkt.
„Das zeigen wir meiner Mama“, rief sie begeistert und rannte voraus in die Scheune.
Die großen Mäuse starrten den kleinen Stern genauso entgeistert an wie zuvor Mia.
„Du bist wirklich ein Stern“, flüsterten sie.
„Ja, ich bin ein Stern“, lächelte dieser, glücklich darüber, dass die Mäuse ihn erkannt hatten.
Das Weihnachtsfest dauerte noch bis spät in die Nacht. Und es machte gar nichts, dass die Kerzen am Christbaum – eine nach der anderen – herunterbrannten und verloschen. Die Mäuse hatten ja einen kleinen Stern zu Gast, der ihr Weihnachtsfest mit seinem Licht erhellte
Waltraud Egitz ist Lehrerin an einer Mittelschule in Kufstein und unterrichtet Deutsch, Musik und Italienisch. Neben mehreren kleineren Veröffentlichungen wurden vier ihrer Texte in Form von Kinder- und Jugendbüchern herausgegeben: „Der Zottelbär“, „Der kleine Bär sucht das Glück“, „Ein Stern für alle“, „Absturzgefahr“.
*
Der verliebte Schneemann
Ein Schneemann hatte sich verliebt
in eine hübsche Schneefrau.
Die stand im Garten nebenan
ganz nah von ihm am Vorbau
des Hauses. Und er wolltʼ zu ihr,
doch störte ihn ein Zaun,
der zwischen den Verliebten hier.
Wer konntʼ nur so was bauʼn?
Der Schneemann sann nun etwas nach,
um diesʼ Problem zu lösen.
Er war gewiss ein Mann vom Fach
und schaute auf den Besen.
Da kam ihm plötzlich die Idee,
mit diesem hinzufliegen
zu seiner Braut, die auch aus Schnee.
Das müsstʼ er doch hinkriegen!
So stieg er auf den Besen dann,
doch der tat sich nicht regen,
weil halt ein Besen das nicht kann,
sich fliegend zu bewegen.
Der Schneemann schaute zum Balkon vom Haus,
sah eine Leiter.
Von dort gehtʼs übern Zaun hinaus,
doch wie, wusstʼ er nicht weiter.
Er stieg flugs zum Balkon hinan,
den Besen in der Linken.
Im Garten dort von nebenan
sah er die Schneefrau winken.
Das brachte ihn sofort in Fahrt,
er konntʼ es kaum erwarten,
zu fliegen so nach Schneemannsart
hin zu der Liebsten Garten.
Er nahm den Besen und flog los
und war dabei sehr munter.
Doch leider zog sein Schneemannschoß
ihn auf den Hof hinunter.
Dort lag er, war total zerstört,
aus war sein Liebesstreben.
Wer Besen nimmt als Fluggerät,
der holt den Tod sich eben.
Ulli Lanin
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Alle Jahre wieder
An Neujahr habe ich einen wichtigen Vorsatz gefasst: In diesem Jahr lasse ich mich weder zu Weihnachten stressen noch in den als besinnlich titulierten Wochen, in denen die Zeit schneller als sonst im Jahr rennt. Soll sie doch rennen wie ein Wiesel – ich werde schlendern, ganz gemütlich.
Selbst im Kindergarten meiner Tochter gibt es für die Kleinsten ein Programm zur Entschleunigung in der Adventszeit. In diesem Jahr, habe ich beschlossen, entschleunige ich mit. Auch deshalb stürzen wir uns nicht wie Lemminge in die Massenwanderung Richtung Alpen, um dann wie zu Hause ohne Schnee zu feiern.
Die Zauberformel zur Entschleunigung heißt unnötigen Ballast abzuwerfen, Organisation und Aufgaben vorzuverlegen. Gleich nach den Sommerferien habe ich mich daher um die Weihnachtsgeschenke gekümmert (leider hatte niemand aus der Familie um diese Zeit Wünsche, ich musste also kreativ werden). Ich habe sechs Stollen zum Einfrieren im ungewöhnlich warmen, um nicht zu sagen, tropisch-heißen Altweibersommer im Trägerkleid gebacken und bei weit geöffnetem Fenster Weihnachtsmusik zur Einstimmung sehr zum Erstaunen des Postboten gehört, während mir die Schweißperlen die Wirbelsäule herunterrannen.
Ganz stressfrei lassen wir uns den Weihnachtsbaum in diesem Jahr nach Hause liefern. Alles, was andere Frauen sonst vor dem Fest der Feste beschäftigen könnte – ausgiebiges Shoppen, Wellnesswochenenden, Weihnachtsmärkte, Pediküre, Maniküre, ein paar überflüssige Kilos mit einem adretten Personal Trainer ab- und die seelische Verfassung gleichzeitig aufbauen, Detox, Botox ... Darauf verzichte ich freiwillig.
Gut, es bleibt dennoch ein wenig zu tun, stelle ich fest, als ich am Montag nach dem ersten Advent meine Liste begutachte.
Folgende Aufgaben stehen an: Geschenke verpacken (sechs bis zehn Stunden), sechzig Weihnachtskarten schreiben (macht vier pro Tag à fünfzehn Minuten, wenn sie rechtzeitig eintreffen sollen), mindestens fünf Chargen Plätzchen backen, allein schon, um Nikolausgeschenke zu haben (dafür brauche ich gefühlt drei Tage; apropos Nikolaus, da muss ich mir noch ein paar Gedanken machen), Weihnachtsgarderobe aussuchen (purer Luxus, ich weiß, trotzdem, den gönne ich mir. Stunden: ?), Festtagsmenü planen (klingt hochtrabend, aber erfordert eben ein bisschen mehr Sorgfalt als ein Nullachtfünfzehn-Braten zum Wochenende, zumal sich kurzfristig Familie angesagt hat, da sie mitbekommen hat, dass wir nicht verreisen). Und deutlich weihnachtlicher könnte unser Haus aussehen ...
Saisonal bedingt, alle Jahre wieder, kommen andere Extras hinzu: Meine Schulkinder schreiben Arbeiten bis zum Abwinken, wobei sie auch auf elterliche, sprich, mütterliche Unterstützung angewiesen sind. Und der Garten, nun ja, schön wäre es, wenn ich wenigstens den Rasen vor dem ersten Schnee (immerhin muss man diese Eventualität auch im Flachland in Betracht ziehen) vom Laub befreien könnte.
Tante Herta, die sich selbst bei uns eingeladen hat, bittet um Rückruf, da sie wissen möchte, welches Programm an Heiligabend bei uns stattfindet.
Nicht als Pflichten zähle ich die obligatorischen vorweihnachtlichen Treffen im Verwandtschafts- und Freundeskreis, denn das ist Eustress, alles ganz positiv und entspannend.
Meistens zumindest.
Nachdenklich starre ich am Montagmorgen nach dem zweiten Advent auf meine Liste. Organisation ist gut. Aber es gibt eben diese unvorhersehbaren Dinge – nennen wir sie Überraschungen des Lebens –, die sich als gnadenlose Zeiträuber entpuppen können.
Leider habe ich mir beim Genuss einer Weihnachtsprinte mein schönes Inlay herausgebissen (der Zahnarztbesuch war unabdingbar, ohne Termin drei Stunden Wartezeit!). Geschenkt, kann passieren. Ebenso wie der Rohrbruch im Keller, ein Geschirrspüler, der sich aus unerfindlichen Gründen weigert, das Geschirr zu waschen, und der Verdacht auf Gehirnerschütterung bei meiner Tochter, nachdem sie beim Lustig-lustig-tralala-Tanzen im Kindergarten mit einem anderen Kind zusammengestoßen ist.
Das Telefonat mit Tante Herta steht noch aus und mir bevor. Zur Ablenkung schaue ich zum Fenster hinaus: Heute schneit es. Ununterbrochen. Keineswegs besinnlich, sondern kräftig wie in den Bergen. Der Wetterbericht sagt Schneefälle auch für die kommenden Tage an. Die Freude der Kinder bedeutet für mich: Chaos auf den Straßen und ausgiebiges Schneeschippen.
Uff! Darauf trinke ich erst einmal einen Zeit-für-mich-Tee.
In der Ruhe liegt die Kraft.
Montag nach dem dritten Advent. Offen und ehrlich – irgendwie sieht meine Liste nicht so aus wie erwartet. Okay, Teile – Großteile – sind erledigt, aber es gibt leider immer noch Geschenke, die nicht verpackt, und mehrere Weihnachtskarten, die nicht geschrieben sind. Und woran liegt das? Ganz klar: an den außerordentlichen Ereignissen der letzten Woche.
Im Kindergarten suchten sie dringend Eltern zur Unterstützung beim Plätzchenbacken. Meine Tochter sah mich mit bittenden, flehenden, kurzum unwiderstehlichen Augen an. Warum suchen sie immer mich?
Auch mein Mann ist bisweilen für eine vorweihnachtliche Überraschung gut. Meist hängt es damit zusammen, dass Unvorhergesehenes auf der Arbeit passiert (wie sehr häufig) und ich sein Auffangbecken, groß wie ein Ozean, für seine unerledigten privaten Aufgaben werde. (Dass an der Weihnachtsfeier seiner Firma in diesem Jahr die Partner pflichterwünscht waren, war ihm hingegen „durchgerutscht“. Fünf Stunden habe ich abgezweigt von meinem Zeitkonto für seine Kollegen.)
UND: Warum muss sich der attraktive Personal Trainer ausgerechnet bei meiner Freundin so unprofessionell verhalten, dass sie zwar mit zehn Pfund weniger, dafür aber mit gebrochenem Herzen zurückbleibt und unser Telefon heißläuft?
„Da lobe ich mir die Funklöcher in den Bergen“, lautete der einzige Kommentar meines Mannes zum Leid meiner Freundin nach unserem mehrstündigen Telefonmarathon.
Immerhin sind Stunden der sozialen Kontakte die besten Stresskiller, lese ich immer wieder, quasi Entschleunigung pur. Ich sollte dankbar sein für mein weit gefächertes soziales Umfeld.
Apropos: Tante Herta!
Ein Tag vor Heiligabend, Montag nach dem vierten Advent. Alles geschafft! Auch dank zweier Nachtschichten. Musste sein, denn unseligerweise ist mir ein Magen-Darm-Virus (zwar nur ein vierundzwanzigstündiger, dafür gerecht auf alle Familienmitglieder verteilt) in der letzten Woche in die Quere gekommen. So mir nichts, dir nichts bin auch ich in den Genuss einer Radikalkur gekommen (Detoxing und Gewichtsabnahme kombiniert).
Sogar die Last-minute-Geschenke sind rechtzeitig eingetroffen. (Erst eine Woche vor Weihnachten fällt meiner Familie ein, welche dringenden Wünsche sie an den Weihnachtsmann hat.) Übernächtigt, mit Augenringen groß wie Untertassen, sitze ich vor meiner Liste, die nichts als durchgestrichene Posten enthält.
Bravo!
Daneben liegt – leider – die neue, nicht eben kurze Liste für morgen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Verwandtschaft anrücken, sich in unserem Haus verteilen: Tante Herta, die darauf wartet, dass das Programm endlich beginnt, Onkel Gerhard mit seinem laut piepsenden Hörgerät, Tante Brigitte, die ihren sabbernden Hund niemals alleine lässt ...
Bin ich gestresst? Hmm.
Einmal tief durchatmen, dazu ein mentales Schulterklopfen. Na also, geht doch!
Bis zur Eröffnung des Weihnachtsspektakels sind es genau siebzehn Stunden – und sechsunddreißig Minuten.
Das schaffe ich. Locker!
So wie ich es mir zu Beginn des Jahres vorgenommen habe.
Na ja ... also fast so.
Bettina Schneider, Jahrgang 1968, lebt in Berlin, verheiratet, zwei Kinder und ein Hund, Studium der Betriebswirtschaftslehre, im Anschluss zehn abwechslungsreiche Jahre im Rechnungswesen in der Privatwirtschaft, heute Freiraum für kreative Tätigkeit. Sie schreibt mit Begeisterung Kurzgeschichten und Erzählungen, einige davon sind veröffentlicht.
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Weihnachtsstimmung
Jingle bells, jingle bells ... Die Melodie höre ich heute zum dreiundzwanzigsten Mal, doch ich summe noch immer gut gelaunt mit. Etwas anderes bleibt mir eigentlich auch nicht übrig, wenn ich nicht die nächsten drei Wochen griesgrämig sein will.
Ich freue mich auf Weihnachten, ehrlich, aber ein paar neue Lieder dürfte sich die Welt schon ausdenken. Im Grunde wird jedes Jahr das Gleiche gespielt. Überhaupt ist es doch sowieso jedes Jahr das Gleiche. Rote und goldene Kugeln an dem riesigen Baum in der Vorhalle, Lichterketten, die die Schaufenster verzieren, und immer die gleichen Lieder.
Aber ich sollte mich nicht beschweren, eigentlich mag ich das alles ja und eigentlich freue ich mich auch darauf, dass alles – oder zumindest fast alles – beim Alten bleibt. Die Menschen, die in Massen zum Einkaufen strömen und auf uns herumtrampeln, sind so viele, dass ich kaum sagen kann, wer im Vorjahr schon auf mir stand.
Das klingt seltsam, Verzeihung, ich hätte mich vorstellen sollen, wie unhöflich von mir. Mein Name ist FIX-7028-cf-49ZK, aber meine Freunde nennen mich einfach nur Fix.
Mein Beruf? Rolltreppe im Einkaufszentrum.
Was meinst du? Ja, natürlich kann ich reden. Können wir alle, ihr seid nur zu geschäftig, um uns zu hören.
Autsch! Ich fühle mich ja geschmeichelt, wenn Kinder mich mögen, aber müssen sie immer auf meinen Stufen herumspringen? Ich weiß, ich sollte mich nicht beklagen.
Warte mal, ich will kurz schauen, was die Dame da in ihrer Tüte hat. Nachts im Museum, von dem Film habe ich gehört, der soll gut sein.
Pff, Anfänger. Du müsstest mal erleben, was hier nachts abgeht, vor allem an Heiligabend. Es gibt immer Neue zu begrüßen, Sänger, Tänzer ...
Heute Abend haben wir Sänger ein Treffen. Psst, ich verrate dir ein Geheimnis. Meine Freunde wissen es noch nicht, aber ich werde das diesjährige Solo singen! Ich freu mich so! Auch wenn ich eigentlich etwas schüchtern bin. Aber Cory – die rote Kugel, die da an dem Zweig hängt, ja, genau die – meinte, ich solle es doch mal versuchen.
Ach, du musst weiter? Na ja, dann mach’s gut. Ich wünsch dir viel Erfolg bei der Geschenkesuche!
Weihnachtsfreude überall, tralala ...
Jerusha Präpst
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Snowbert büxt aus!
„So ein schöner Schneemann ist das geworden“, sagte Mama zu Sven. „Das haben wir toll hingekriegt.“
Sven nickte eifrig mit dem Kopf, wobei sich der Bommel seiner Zipfelmütze wild hin und her bewegte. Er hatte ganz rote Backen, seine Fäustlinge waren nass und außen ganz weiß vom gefrorenen Schnee, der sich in der Wolle festhielt. Voll Freude betrachtete Sven das Kunstwerk.
Eine ganz große, eine mittlere und eine kleine Kugel hatten sie übereinandergesetzt. Das war Schwerarbeit gewesen. Am Bauch glänzten fünf schwarze Kohlesteine, am Kopf hatte Mama eine alte Skimütze festgemacht. Auch die Augen waren Kohlestücke und die Nase eine lange Karotte.
„Mama, kann der Schneemann weglaufen?“, fragte Sven, weil er seinen Schneemann ja gerne länger hätte.
Mama nahm ihren Sohn in die Arme und verneinte lachend. „Kann er nicht, er hat ja keine Beine.“
Da war Sven zufrieden.
Gerade wollte er ins Haus laufen, da fiel ihm ein, dass er dem Schneemann unbedingt einen Namen geben musste. Jetzt dachte er nach, wie sollte er ihn nennen, wenn er morgen nach dem Frühstück in den Garten laufen würde? Hm, er überlegte hin und her.
„Was hast du Sven?“, fragte Mama etwas besorgt.
„Ich möchte dem Schneemann einen Namen geben, aber welchen?“, antwortete Sven mit einem tiefen Seufzer.
Hans, Ben oder vielleicht Dagobert? Da hatte er eine Idee. Sein Lieblingsonkel hieß Herbert, deshalb würde er den Schneemann Snowbert nennen! Das gefiel ihm.
So lief Sven täglich gleich nach der Schule raus in den Garten und begrüßte seinen Freund. „Hallo Snowbert, wie geht es dir heute?“ Dann strich er ihm mit seinen Fäustlingen über die Rundungen, füllte Schnee nach, wo etwas weggebrochen war, und erzählte ihm, was er so alles erlebt hatte.
Eine Woche vor Weihnachten bekam Sven eine starke Erkältung mit Husten und Schnupfen. Er musste das Bett hüten. Am dritten Tag seiner Krankheit stand er auf und ging zum Fenster, um Snowbert zuzuwinken.
Als er in den Garten blickte, entfuhr ihm ein heiseres Krächzen und seine Augen wurden starr. „Mama, Mama, Snowbert ist weg!“, rief er aufgeregt.
Noch mal schrie er nach seiner Mama, die völlig außer Atem zu ihm lief, nachdem sie im Keller die Wäsche geholt hatte. „Was ist passiert, geht’s dir nicht gut?“ Ängstlich strich sie ihm über den Kopf.
Sven schüttelte den Kopf. „Nein, Mama, schau in den Garten, Snowbert ist nicht mehr da!“ Eine Träne lief ihm über seine noch immer gerötete Wange.
Mama sah durch das Fenster und tatsächlich, der Schneemann war verschwunden. „Das kann es doch gar nicht geben“, dachte sie, „hat den jemand gestohlen?“
Am Boden erkannte man noch den kreisrunden Abdruck. Wo war Snowbert nur hingekommen?
Letzte Nacht war es passiert. Der Schneekönig flog über das Land und hatte eine riesige Menge Schneeflocken mitgebracht. Im Garten von Sven sah er den schönen Schneemann, der etwas traurig aussah. Er blieb vor ihm stehen und hauchte ihm mit seinem eisigen Atem Leben ein. Dann erzählte ihm der Schneemann von dem Jungen, seinen Geschichten und dass er täglich zu ihm gekommen sei. Aber jetzt wäre er schon drei Tage nicht mehr da gewesen. Snowbert war langweilig und wollte weg. Da er aber keine Füße hatte, wusste er nicht, wie. Der Schneekönig zauberte ihm Füße und flog dann weiter.
Snowbert sah an seinem dicken Bauch hinunter und plötzlich spürte er ein komisches Kribbeln, so als würde sich bei ihm etwas teilen. Ui, das waren Füße! Und als er diese zu bewegen begann, stand er auch schon beim Gartentor. Das öffnete er und lief sogleich die Straße entlang, vorbei an den Häusern.
Aber dann gab es keine Häuser mehr, sondern ... ja, was war das? Dunkle, hohe Gestalten voll Schnee! Man konnte dazwischen durchlaufen. Vorsichtig näherte sich Snowbert diesen bedrohlich wirkenden Riesen. Er wusste nicht, dass es alte Tannenbäume waren. Mit ängstlichen Blicken rannte er durch dicke Schneehaufen.
Am Ende des Waldes stand er vor einem breiten Fluss. Das Mondlicht schimmerte auf der gefrorenen Wasserfläche und Snowbert betrachtete die glitzernde Fläche mit großen Augen. Langsam ging er zum Ufer, und als er sein Spiegelbild im Eis erkannte, erschrak er. Wer war das? Er blickte sich um, aber da war niemand. Dann sah er wieder aufs Eis. Das war er – er selbst! Mit einem Finger berührte er behutsam die Eisfläche. Das war komisch, aber angenehm kalt. Als er mit seinen Füßen auf das Eis stieg, rutschte er sofort aus und platsch lag er auf seinem Hinterteil, das sich gefährlich verformte. Mit großer Mühe erhob er sich wieder und rutschte auf dem Eis entlang. Bald machte ihm das Riesenspaß.
Als der Morgen dämmerte, stieg Snowbert auf der anderen Seite ans Ufer und wanderte am Fluss entlang gen Süden. Es schien ein schöner Wintertag zu werden. Der Schnee knirschte unter seinen Tritten. Als Snowbert zu einem Feld kam, schien die Sonne vom Himmel. Und das gefiel ihm überhaupt nicht. Er spürte den Schneeschweiß überall an seinem Körper herunterlaufen. Verzweifelt suchte Snowbert Schatten oder etwas Kaltes. Mit ängstlichen Augen blickte er sich um. Ziemlich weit weg erkannte er ein Gebäude, so wie das von Sven. Da musste er hin.
Mit größter Anstrengung machte er sich auf den Weg. Hinter ihm bildete sich eine Wasserfährte und er hatte das Gefühl, immer weniger zu werden. Als Snowbert endlich den Garten des Häuschens erreicht hatte und er unter einem riesigen Baum stand, lehnte er sich völlig fertig an dessen Stamm.
Wenige Minuten später lief ein kleines Mädchen aus dem Haus auf ihn zu. „Papa, schau, da steht ein Schneemann. Hast du den gebaut?“
Der Papa kam mit dicken Pelzstiefeln aus der Holzhütte und staunte nicht schlecht. „Äh, nein, den habe ich nicht gebaut. So was, wo kommt der denn her?“
Das Mädchen beäugte den Schneemann, der völlig abgemagert dastand. „Papa, sollen wir ihn etwas aufrichten? Er sieht ziemlich mager aus“, meinte das Mädchen und zupfte seinen Papa am Ärmel.
Er sah seine Tochter an und nickte ihr aufmunternd zu. Dann pappten sie Snowbert neuen Schnee auf alle seine Kugeln und bald schon sah er wieder rund und glücklich aus.
Weil sich das Wetter täglich von seiner sonnigsten Seite zeigte und die Temperaturen weiter anstiegen, war Snowbert bald wieder in Gefahr. Das Mädchen sah den traurigen Schneemann und lief zu seinem Vater. „Papa, er stirbt! Der Schneemann stirbt. Wir müssen etwas tun.“ Voll Angst sah die Kleine ihren Vater an. Der strich ihr über den Kopf, stand dann auf, ging zum Telefon und rief seinen Kumpel Moritz an.
Wenig später fuhr der mit seinem riesigen Kühlwagen auf den Hof. Moritz holte einen großen Rodel, die beiden Männer hievten den Schneemann darauf und brachten ihn in das Innere des Lastwagens. Der war voll Eis und augenblicklich fühlte sich Snowbert wieder wie neugeboren.
Der Lkw fuhr in Richtung Norden, das Mädchen und sein Vater fuhren mit. Er fuhr über die Brücke des Flusses, durch den dunklen Tannenwald bis zum Dorf. Da blieb Moritz mit dem Lkw stehen und Snowbert war wieder zu Hause.
Dankbar winkte er dem Mädchen nach. Bald fand er auch die Straße, wo das Haus von Sven stand. Glücklich stellte er sich auf seinen alten Platz im Garten und schlief selig ein.
Sven war inzwischen wieder völlig gesund, aber sehr traurig, dass sein Snowbert weg war. Als er am Samstag nach dem Frühstück in den Garten lief, sah er plötzlich den Schneemann wieder. Überrascht und überglücklich umarmte er ihn. „Ach, Snowbert, wo bist du nur gewesen? Ich habe dich so vermisst.“
Jetzt konnte er wieder täglich im Garten mit ihm spielen. Snowbert war zufrieden. Und manchmal glaubte Sven, dass ihm sein eisiger Freund mit einem Auge zuzwinkerte.
Gabriele Grausgruber, geboren 1957, verheiratet, wohnhaft in Gurten/Oberösterreich, Schriftstellerin. Kinderbücher, Gedichte und Kurzgeschichten in Hochdeutsch wie auch in Mundart.
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Die Weihnachtselfe
Sabrina war eine Elfe. Sie war in der Menschenwelt groß geworden und wollte nun ihre Aufgabe als Weihnachtselfe wahrnehmen. Denn jeder Elf und jede Elfe sollte sich auf den Weg zum Weihnachtsmann machen, um ihm zu helfen.
Der Weg war weit, aber sie war frohen Mutes. Er führte sie über Berge, Täler und Wälder. Sowie durch Städte und Dörfer. Schritt für Schritt, immer ein Auge auf die Uhr gerichtet, denn bald würde die Pforte geschlossen sein. Diese musste sie erreichen. Wenn sie das nicht schaffte, durfte sie dem Weihnachtsmann nicht helfen und würde zu einem Menschen werden.
Sabrina war gut in der Zeit, hatte schon das Schneereich erreicht, das in der Nähe des Durchgangs lag, als sie das Wimmern eines Babys hörte. Sie sah sich um und folgte dem Geräusch.